Weltrekord, Top-Leistungen und EmotionenMehr als 40.000 Fans erleben beim ISTAF ein packendes Leichtathletik-Feuerwerk
Weltrekord, Top-Leistungen und Emotionen Mehr als 40.000 Fans erleben beim ISTAF ein packendes Leichtathletik-Feuerwerk
BERLIN. Was für ein Leichtathletik-Spektakel beim ISTAF 2024. Leo Neugebauer, Gina Lückenkemper, Yemisi Ogunleye und Julian Weber verzaubern die Fans im Berliner Olympiastadion. Die Kenianerin Mary Moraa läuft 600-Meter-Weltrekord – und auch US-Stabhochspringer Sam Kendricks gelingt eine Weltklasse-Leistung. Gänsehaut-Atmosphäre erleben die 40.500 Fans auch bei den bewegenden Abschieden von Christina Hering und Julia Harting.
Mit weit ausgebreiteten Armen und einem strahlenden Lächeln im Gesicht lief Leo Neugebauer (VfB Stuttgart) am Sonntagnachmittag beim ISTAF im Berliner Olympiastadion über 1500 Meter ins Ziel. Der Olympia-Zweite im Zehnkampf triumphierte vor 40.500 Fans bei der Premiere des ISTAF-Dreikampfs. Zunächst hatten 100 Meter und Diskuswurf auf dem Programm gestanden. Mit 10,77 Sekunden und 53,13 Meter hatte sich der Deutsche Rekordhalter einen großen Vorsprung erarbeitet, den er über die ungeliebten 1500 Meter nicht mehr abgab.
Dass Leo Neugebauer gewonnen hatte, wussten die Fans – anders als beim Zehnkampf sofort. Denn die Mehrkämpfer gingen nach der Gundersen-Methode – entsprechend ihrem Punktevorsprung nach zwei Disziplinen – auf die 1500 Meter. So war der Erste im Ziel auch Gesamtsieger. „Es war mein erster Wettkampf im Olympiastadion und ich komme gern wieder. Das war ein cooles Debut für mich. Ich bin dankbar für die Stimmung, die die Leute gemacht haben. Ich habe alles genossen“, freute sich der Olympia-Zweite.
Den spektakulären Schlusspunkt auf der schnellsten Bahn der Welt setzte Gina Lückenkemper. Die Sprinterin vom SCC Berlin erwischte im 100-Meter-Finale einen guten Start, zeigte eine perfekte Beschleunigungsphase und zog den Konkurrentinnen auf der zweiten Streckenhälfte auf und davon. Mit 10,93 Sekunden steigerte die 27-Jährige bei leichtem Rückenwind ihre sieben Jahre alte Bestzeit um zwei Hundertstelsekunden. „Gestern habe ich mich schon super gefühlt. Da war alles möglich. Dieses Stadion und dieses Publikum geben mir so viel Kraft. Ich habe schon lange gesagt, dass Großes in meinen Beinen schlummert. Heute hat es sich gezeigt“, jubelte Gina Lückenkemper nach dem schnellsten Rennen ihrer Karriere und der besten Zeit einer deutschen 100-Meter-Läuferin seit 1988.
Im Ziel überreichten Gina Lückenkemper, Lisa Mayer und Rebekka Haase (beide Sprintteam Wetzlar) einen bronzenen Staffelstab an die überraschte Lisa Marie Kwayie. Der Stab steht symbolisch für Olympia-Bronze über 4×100 Meter von Paris. Die Berlinerin war dort Ersatzläuferin, machte jedes Warm-Up mit und unterstützte die deutsche Staffel. Aber eine Medaille erhielt sie nicht. Mit dem Staffelstab zeigten die Sprinterinnen, wie wichtig ein gutes Team in Staffelrennen ist. Als Vierte stellte Lisa Mayer beim ISTAF mit 11,19 Sekunden ihre Saisonbestzeit ein. Lisa Marie Kwayie (11,27 sec) und Rebekka Haase (11,39 sec) folgten auf den Plätzten sieben und neun.
Auf der Zielgeraden der 600 Meter kämpfte Mary Moraa (Kenia) um jede Hundertstel. Denn es ging um nichts weniger als den Weltrekord. Und die Olympia-Dritte legte auf der blauen Bahn des Olympiastadions eine Punktlandung hin. Mit 1:21,63 Minuten steigerte die 800-Meter-Weltmeisterin die Bestmarke – von World Athletics offiziell als Weltbestzeit geführt – um 14 Hundertstelsekunden Vor sieben Jahren war Caster Semenya (Südafrika) ebenfalls beim ISTAF 1:21,77 Minuten gelaufen. „Ich fühle mich so gut und bin glücklich. Diesen Rekord gleich im ersten Anlauf zu erreichen, ist einfach überwältigend. Ich bin so zufrieden mit der Art und Weise, wie ich heute gelaufen bin“, jubelte Mary Moraa nach ihrem Rekord-Coup.
Nach 15 Deutschen Meistertiteln im Freien und in der Halle absolvierte Christina Hering (LG Stadtwerke München) das letzte Rennen ihrer erfolgreichen Karriere. Mit 1:26,17 Minuten belegte die Wahl-Berlinerin mit 1:26,17 Minuten Rang sechs über 600 Meter. Ihre Trainingspartnerin Alica Schmidt (SCC Berlin) stürmte mit einem starken Finish mit 1:24,88 Minuten sogar bis auf Platz drei nach vorn. „Ich bin noch voller Adrenalin! Es ist noch nicht bei mir angekommen, dass es heute mein letztes Rennen war. Aber es fühlt sich sehr richtig an, jetzt einen Schlussstrich zu ziehen. Heute hat mir gezeigt, wie toll die Leichtathletik ist“, sagte Christina Hering und nahm als Abschiedsgeschenk ein Stück der berühmten blauen Bahn in Empfang.
Weltklasse-Leistungen gab’s auch in den technischen Disziplinen. So machte sich Speerwerfer Julian Weber (USC Mainz) ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk. Der in Berlin lebende Vize-Europameister war mit der S-Bahn ins Olympiastadion gekommen und ließ drei Tage nach seinem 30. Geburtstag den Speer bis auf 88,64 Meter fliegen. Saisonbestleistung und sechs Würfe zwischen 84,45 und 88,64 Meter – einfach Weltklasse!
„Das ist der schönste Wettkampf in Europa für mich, mindestens! Es war wunderschön, so wie ich es mir vorgestellt habe. Menschenmassen hier im Stadion, in meinem Zuhause. Das hat unfassbar viel Spaß gemacht. Die Leute sind so krass mitgegangen. Es hat sich fast so angefühlt wie in Paris, es gab so viele gute deutsche Leistungen. Gesundheitlich ging es bei mir die Woche nicht so gut, aber ich hatte heute dieses Wurffeeling. Von daher bin ich sehr optimistisch in den Wettkampf gegangen. Die tolle Serie ist der Hammer“, freute sich der Lokalmatador nach dem viertbesten Wettkampf seiner Karriere.
Im Stabhochsprung waren bei 6,01 Meter noch zwei Athleten im Wettbewerb. Und gleich im ersten Versuch katapultierte sich Sam Kendricks (USA) über diese Höhe. Es war der erste Sechs-Meter-Sprung beim ISTAF seit 25 Jahren. Für Menno Vloon (Niederlande) waren die 6,01 Meter am Sonntagnachmittag (noch) zu hoch. Er wurde mit 5,92 Metern Zweiter vor dem starken deutschen Duo Bo Kanda Lita Baehre (ART Düsseldorf; 5,782 m) und Torben Blech (TSV Bayer 04 Leverkusen; 5,72 m).
Mit riesigem Applaus bedachten die 40.500 Fans beim ISTAF die frisch gekürte Kugelstoß-Olympiasiegerin Yemisi Ogunleye. Nach einer langen Saison musste sich die Mannheimerin mit 18,65 Metern der Niederländerin Jessica Schilder geschlagen geben. Der Europameisterin gelang mit 19,70 Metern der beste Stoß der Konkurrenz. „Es war sehr schön, wie viel Aufmerksamkeit das Kugelstoßen heute bekommen hat! Danke, Berlin! Zuletzt hatte ich viele Aufgaben durch meinen Olympiasieg. Daher habe ich heute auch gemerkt, dass wir Menschen keine Maschinen sind. Ich hatte heute Spaß am Wettkampf, Platz zwei ist okay, aber weiter wollte die Kugel heute nicht fliegen“, sagte Yemisi Ogunleye nach ihrem umjubelten Auftritt.
Über 400 Meter Hürden brachte ein Lokalmatador das Olympiastadion zum Beben: Emil Agyekum (SCC Berlin) ging das Rennen offensiv an, übernahm auf der zweiten Streckenhälfte die Führung und gab diese bis ins Ziel nicht mehr ab. Mit 48,21 Sekunden steigerte der EM-Dritte mit der 4×400-Meter-Staffel seine Bestzeit beim „Heimspiel“ um 15 Hundertstelsekunden. Ein weiterer Schritt zur prestigeträchtigen Zeit unter 48 Sekunden. „Es war ein super Lauf, persönliche Bestzeit, ich bin super zufrieden. Die Stimmung war super, ich liebe es hier im Olympiastadion zu laufen. Das ist wirklich immer wieder ein Highlight und ein krönender Saisonabschluss“, jubelte Emil Agyekum.
Die 2.000 Meter Hindernis wurden zur grandiosen Show von Gesa Krause (Silvesterlauf Trier). Die zweimalige Europameisterin spielte auf der Schlussrunde ihre Schnelligkeit aus und lief in 5:56,71 Minuten zum Sieg. Schneller war weltweit keine andere Läuferin über diese Distanz 2024. Hinter der viermaligen Olympia-Finalistin folgte ihre Vereinskameradin Olivia Gürth mit neuer Bestzeit von 6:00,50 Minuten. „Ich bin sehr glücklich mit meinem Lauf. Ich wollte unbedingt unter sechs Minuten bleiben. Ich habe mich sehr gut gefühlt, die Wassergrabenüberquerungen waren besser als zuletzt und dementsprechend bin ich sehr happy mit dem Rennen und vor allem die Stimmung hier ist jedes Mal aufs Neue grandios“, so Gesa Krause.
Die 110 Meter Hürden wurden zur großen Show von Grant Holloway. Der Olympiasieger aus den USA flog elegant und schnell über die zehn Hindernisse. Mit 13,14 Sekunden war der dreimalige Weltmeister nicht zu stoppen und feierte gehüllt in die US-Flagge seinen Sieg auf der blauen Bahn. Dahinter folgten der schnelle Japaner Rachid Muratake (13,21 sec) und Rio-Olympiasieger Omar McLeod (Jamaika; 13,28 sec). „Ich bin mit diesem Rennen absolut zufrieden. Dieses Stadion ist fantastisch, die Bahn großartig“, bedankte sich Grant Holloway bei den Fans im Olympiastadion. Die 100 Meter ohne Hürden entschied sein Landsmann Courtney Lindsey mit 9,99 Sekunden für sich.
Bei den Frauen feierten die Jamaikanerinnen einen Doppelsieg über 100 Meter Hürden. Yanique Thompson setzte sich mit 12,73 Sekunden vor der ehemaligen Vizeweltmeisterin Britany Anderson (12,89 sec) durch. Als Dritte zeigte Marlene Meier ein starkes Rennen, mit 12,93 Sekunden beendete die Leverkusenerin ihre Saison auf beste Art und Weise – mit einer neuen Bestzeit. „Ich weiß nicht genau, was es ist, aber irgendwas scheint hier magisch zu sein. Dass es immer klappt, wenn ich hier in Berlin bin. Im vergangenen Jahr bin ich schon 13,00 Sekunden gelaufen, nun eine neue persönliche Bestzeit. Jetzt fahre ich in den Urlaub, mit einem riesigen Lächeln“, jubelte Marlene Meier nach dem Bestzeit-Coup.
Emotional ging es auch gleich zu ISTAF-Beginn im Diskusring zu: Julia Harting (SC Neubrandenburg) beendete nach anderthalb Jahrzehnten in der Weltspitze ihre erfolgreiche Karriere. Bei ihrem letzten Wettkampf kam die Vize-Europameisterin von 2016 noch einmal auf 58,69 Meter und belegte Platz sieben. Der 34-Jährigen gebührte bei ihrem letzten großen Wettkampf der letzte Wurf der Konkurrenz. „Es ist das Allergrößte, dass ich hier heute starten und meine Karriere beenden durfte. Ich bin aus Berlin, bin hier geboren und eng verbunden mit der Stadt. Ich freue mich ganz doll, dass alle Mädels da sind. Wir sind nicht nur Konkurrentinnen, sondern sind Freundinnen geworden“, sagte Julia Harting nach ihrem letzten Wurf.
Nach dem Wettkampf schloss die 34-Jährige ihre langjährigen Konkurrentinnen in die Arme. Auf der Tribüne hielten Ehemann Robert Harting und die gemeinsamen Kinder ein großes Plakat mit der Aufschrift „Beste Mama, Athletin, Frau“ in die Höhe. Den Sieg sicherte sich die Deutsche Meisterin Kristin Pudenz (SC Potsdam) mit 64,14 Metern. Die Olympia-Vierte Marike Steinacker (TSV Bayer 04 Leverkusen) machte mit 63,24 Metern den deutschen Doppelsieg perfekt.
Zweit deutsche Siege gab’s über die Stadionrunde. Zunächst lief Luna Bulmahn (VfL Wolfsburg) mit 51,85 Sekunden zum Sieg. Wenige Minuten später machte es ihr Lebensgefährte nach. Mit 45,04 Sekunden verpasste Jean Paul Bredau (SC Potsdam) seine zweite Zeit unter der 45-Sekunden-Marke nur knapp. Im Weitsprung gab’s eine Zentimeter-Entscheidung: Die Schweizerin Annik Kälin setzte sich mit 6,65 Metern vor Malin Stevanow durch. Die Frankfurterin freute sich trotzdem über die neue Bestleistung von 6,64 Metern.
Premiere feierte beim ISTAF die „Rudi-Thiel-Meile“ für U18-Mittelstreckler. Unter den Augen vom Namensgeber und langjährigen Meeting-Chef Rudi Thiel (96) gewann Magnus Oyen (Norwegen) das Nachwuchsrennen über 1609,344 Meter. Vielleicht wird man ihn und andere Starter von der Premiere ja bei folgenden ISTAF-Austragungen in den Top-Feldern wiedersehen.
ISTAF-Meetingdirektor Martin Seeber: „Vielen, vielen Dank allen, die dieses großartige Leichtathletik-Highlight möglich gemacht haben – den fantastischen Athletinnen und Athleten, unseren tollen Partnern und Unterstützern und den 40.500 Fans, die Gänsehaut-Atmosphäre ins Berliner Olympiastadion gezaubert haben.“